Es mag wie Science-Fiction klingen, aber Fleisch, Milchprodukte und Zucker, die im Labor gezüchtet wurden, könnten im Vereinigten Königreich bereits in zwei Jahren in den Supermarktregalen stehen. Solche Produkte werden aus Zellen in chemischen Anlagen gezüchtet. Die britischen Unternehmen seien in diesem Bereich wissenschaftlich führend, würden sich aber durch die geltenden Vorschriften behindert fühlen, berichtet die BBC. Deshalb prüfe die staatliche Food Standards Agency (FSA) derzeit, wie sie das Zulassungsverfahren für im Labor gezüchtete Lebensmittel beschleunigen kann.
Singapur sei 2020 das erste Land gewesen, das den Verkauf von gezüchtetem Fleisch für den menschlichen Verzehr genehmigte, gefolgt von den Vereinigten Staaten drei Jahre später und Israel im vergangenen Jahr, so die BBC. Italien und die US-Bundesstaaten Alabama und Florida hätten jedoch bereits Verbote erlassen.
Laut der BBC will die FSA ihre neuen Vorschriften in Zusammenarbeit mit Experten aus High-Tech-Lebensmittelunternehmen und akademischen Forschern entwickeln. Nach eigenen Angaben soll die vollständige Sicherheitsbewertung von zwei im Labor gezüchteten Lebensmitteln innerhalb eines zweijährigen Prozesses abgeschlossen werden, mit dem sie bereits begonnen hat.
Kritiker weisen darauf hin, dass die Beteiligung der Unternehmen an der Ausarbeitung der neuen Vorschriften einen Interessenkonflikt darstellt. Trotzdem behauptet Robin May, der leitende Wissenschaftler der FSA, gegenüber BBC News, «dass es bei der Sicherheit der Verbraucher keine Kompromisse geben wird».
«Wir arbeiten sehr eng mit den beteiligten Unternehmen und akademischen Gruppen zusammen, um eine Regulierungsstruktur zu entwerfen, die gut für sie ist, aber auf jeden Fall gewährleistet, dass die Sicherheit dieser Produkte so hoch wie möglich bleibt», sagte er.
Die Direktorin der Kampagnengruppe Beyond GM, Pat Thomas, ist von diesem Ansatz nicht überzeugt und bemängelt: «Die Unternehmen, die die FSA bei der Ausarbeitung dieser Vorschriften unterstützen, sind diejenigen, die am ehesten von der Deregulierung profitieren würden».
Den Vorwurf der «Deregulierung» weist Wissenschaftsminister Lord Vallance vehement zurück. «Es handelt sich nicht um Deregulierung, sondern um eine innovationsfördernde Regulierung. Das ist eine wichtige Unterscheidung, denn wir versuchen, die Regulierung an den Bedürfnissen der Innovation auszurichten und einen Teil der Bürokratie und Doppelarbeit abzubauen», erklärte er gegenüber der BBC.
Im Labor gezüchtete Lebensmittel werden aus winzigen Zellen zu pflanzlichem oder tierischem Gewebe gezüchtet. Manchmal werden dabei auch Gene verändert, um die Eigenschaften des Lebensmittels zu optimieren. Die angeblichen Vorteile sind laut BBC, «dass sie besser für die Umwelt sind und möglicherweise gesünder».
Die Regierung sei sehr daran interessiert, dass die im Labor gezüchteten Lebensmittel florieren, weil sie hoffe, dass sie neue Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum schaffen könnten, teilt die BBC mit. Das Vereinigte Königreich sei wissenschaftlich gut aufgestellt, aber das derzeitige Genehmigungsverfahren sei viel langsamer als in anderen Ländern, vor allem in Singapur, den USA und Israel gehe es schneller.
Als Beispiel für die Behinderung dieser «innovativen» Startups, die dem Verbraucher ihre im Labor gezüchteten Produkte so schnell wie möglich unterjubeln wollen, nennt die BBC das Unternehmen Ivy Farm Technologies in Oxford, das mit im Labor gezüchteten Steaks, die aus Zellen von Wagyu- und Aberdeen-Angus-Rindern gewonnen werden, an den Start gehen will. Anfang letzten Jahres beantragte das Unternehmen die Zulassung für den Verkauf seiner Steaks an Restaurants.
Der Geschäftsführer von Ivy Farm, Dr. Harsh Amin, beklagte sich bei der BBC, dass die FSA erst in den nächsten zwei Jahren über die Zulassung der Produkte entscheiden will. Das sei eine sehr lange Wartezeit. «Wenn wir diese Zeit auf weniger als ein Jahr verkürzen und gleichzeitig die höchsten britischen Lebensmittelsicherheitsstandards aufrechterhalten können, würde dies Start-up-Unternehmen wie dem unseren zum Erfolg verhelfen», erklärte er.
Alicia Graham, die am Bezos-Zentrum des Imperial College London einen Weg gefunden hat, eine Alternative zu Zucker zu züchten, lamentierte ebenfalls über den langen Weg zur Zulassung. So darf ihre Firma MadeSweetly ihren im Labor gezüchteten Zucker nicht verkaufen. Diesen hat sie entwickelt, indem sie ein in einer Beere vorkommendes Gen in Hefe eingeführt hat. Ihr Laborzucker «macht nicht dick und ist daher ein potenzieller Süßstoff und gesunder Ersatz in kohlensäurehaltigen Getränken», behauptet Graham.
Pat Thomas ist dagegen überzeugt, dass diese Hightech-Lebensmittel möglicherweise nicht so umweltfreundlich sind, wie sie dargestellt werden. Für ihre Herstellung werde nämlich viel Energie benötigt. Auch die angeblichen gesundheitlichen Vorteile erscheinen ihr überbewertet:
«Laborgezüchtete Lebensmittel sind letztlich ultra-verarbeitete Lebensmittel, und wir befinden uns in einer Zeit, in der wir versuchen, die Menschen dazu zu bringen, weniger ultra-verarbeitete Lebensmittel zu essen, weil sie gesundheitliche Auswirkungen haben. Und es ist erwähnenswert, dass diese ultra-verarbeiteten Lebensmittel bisher nicht in der menschlichen Ernährung vorkamen.»
Was den Menschen in Großbritannien droht, wurde im vergangenen Monat schon für Haustiere Realität: Im vergangenen Monat wurde erstmals Hundefutter aus Fleisch verkauft, das in Fabrikkesseln gezüchtet wurde.
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